Heute sind wir mit einem wahren Weltmeister verabredet. Der Weg führt uns hierzu in den nördlichsten Zipfel des Mohr-Verbreitungsgebietes, nämlich nach Steinbach am Wald. Am Wanderparkplatz "Alte Ziegelhütte" treffen wir den gebürtigen Thüringer um ein wenig mit ihm in seine Materie einzutauchen. Wandern in seiner extremsten Form. Seit Mai darf er sich, auch wenn der Titel als inoffiziel gilt, Wanderweltmeister nennen.
170 Kilometer immer den Rennsteig entlang, auch nachts
Die mit 170 Kilometern längste Strecke bei der diesjährigen Wander-Weltmeisterschaft am Thüringer Rennsteig hat Daniel Traut aus Lauenstein und Jens Naujocks aus Krumbach (Landkreis Günzburg) zeitgleich absolviert. "Die Wanderszene ist in diesen Kilometer-Regionen eher kleiner. Man kennt sich und es geht noch sehr freundschaftlich zu. Nachdem wir die ganze Strecke bei widrigen Bedingungen nach einem Kälteeinbruch mit bis zu 20 Zentimeter Schnee zusammen absolviert haben, war dies eine schöne Sache. Dieses Jahr war es sehr extrem - von den Wetter- und den Wegbedingungen. Das machte es doppelt schwer"gibt uns Daniel zu verstehen. Er hatte auf der XXL-Strecke bereits 2018 gewonnen. Die Teilnehmer waren von Blankenstein nach Gumpelstadt auch während der Nacht marschiert. Insgesamt beteiligten sich auch in diesem Jahr auf verschieden langen Strecken etwa 180 Wanderer an dem Wettbewerb. Dabei waren auch Österreicher, Schweizer, Belgier und Slowaken.
Jetzt im Hoch-Sommer kann man sich diese Bedingungen eher schwierig vorstellen. Mittlerweile ächzt auch der Wald nach der nächsten Extrem-Hitzewelle im Juli nach Kühle und Niederschlag. Nach wenigen hundert Metern geht der Schotterweg in einen schmalen Pfad über. Jeder Schritt auf dem wahren Rennsteig mit vielen Wurzeln und Unebenheiten staubt. Der Rennsteig ist eigentlich ein historischer Grenzweg im Thüringer Wald, Thüringer Schiefergebirge und Frankenwald. Außerdem ist er der älteste und mit etwa 100.000 Wanderern jährlich der meistbegangene Weitwanderweg Deutschlands. Er beginnt im Eisenacher Ortsteil Hörschel am Ufer der Werra und endet in Blankenstein (Gemeinde Rosenthal am Rennsteig) an der Selbitzbrücke. Sein Wegzeichen ist ein großes weißes R und begleitet den Wanderer auf Schritt und Tritt.
Heute hat Daniel seinen Hund "Eddy" dabei. Mit 12 Jahren läßt es der Terrier auch etwas gemütlicher angehen. Im Wettkampfmodus legt der 42-Jährige im Schnitt zwischen 6,5 und 7 Kilometern zurück. Natürlich wollen wir wissen, wie jetzt die normale Laufgeschwindikeit wäre. Für wenige Meter wechseln wir auf das Tempo von Daniel. Man könnte dies im Militärjargon als durchaus straff bezeichnen. Eigentlich ist so die Geschwindigkeit für uns schon fast als Trapp oder knapp unterhalb von Joggen einzuordnen. Fakt: zwei Kilometer bestimmt ganz schön, aber was passiert bei über 100 Kilometern nonstop?
"Es zwickt überall einmal. Mal die Füße. Mal die Oberschenkel. Und die Schienbeine. Doch nach den ersten zehn, vielleicht nach 20 Kilometern komme ich meistens richtig in Tritt. Da ist vieles Kopfsache. Ja eigentlich ist alles Kopfsache", beantwortet der gebürtige Thüringer die Frage, wie das der Körper überhaupt schaffe. "Wenn man immer seine eigene Geschwindigkeit läuft, macht sich keine Müdigkeit breit."
Strafminuten für Geschwindigkeit
Wanderer mit Schrittgeschwindigkeiten über 7,5 Kilometern pro Stunde bekommen nämlich "Strafminuten". Denn Kontrolle muss sein: Jeder passiert auf der vorgeschriebenen Strecke Kontrollposten, wo er sich mit einer Chip-Karte einloggen muss.
Wer wie Daniel alleine loszieht, kann sich den Streckenverlauf vorher herunterladen und selbst durch die Natur navigieren. Daniel ist ansonsten mit "leichtem Gepäck" unterwegs. Lediglich ein Notfall-Set mit Pflastern und Wärmedecke, Getränke und Energieriegel, Lampen und Ersatzbatterien landen in seinem Rucksack. Alles weitere - zum Beispiel Klamotten und Schuhe zum Wechseln - können die Teilnehmer vorher an Versorgungspunkten deponieren. Dort können die Wanderer eine Pause einlegen und sich mit Essen und Getränken versorgen.
Und sich wie beim diesjährigen Rennsteig-Marathon "erst einmal trockenlegen". Nach einem verregneten Start und Temperaturen nahe dem Gefrierpunkt ist es da nämlich recht ungemütlich zugegangen. Ungefährlich ist der Rennsteig bei dieser Witterung - wurzelbewachsene Wege mit einer Schneedecke überzogen - nicht.
Da sei seine Ortskenntnis von Vorteil gewesen und er für einige Kilometer vom Wanderweg auf die asphaltierte Straße ausgewichen, die ca 50-100 Meter neben dem Rennsteig verläuft. Sicherheit geht für den Familenvater da vor.
Mit seinen 42 Jahren ist der Holzmechaniker übrigens ein "Jungspund" unter den Extremwanderern. Viele seine Mitstreiter haben das Rentenalter längst überstritten. Für ihn sei es trotzdem der ideale Sport. "Man kann perfekt abschalten und in sich gehen. Da bekommt man viele gute Ideen."
Ungewöhnliches Hobby
Doch wie stößt man überhaupt auf ein solch ungewöhnliches Hobby? Angefangen haben die Wanderungen durch Geocaching. Bei diesen Schatzsuche-Spielen, bei dennen man mittels GPS-Koordinaten Behälter und Objekte aufspürt, müsse man hin und wieder auch weitere Strecken zurücklegen.
Was mit fünf Kilometern begann, habe sich schnell auf zehn bis 20 Kilometer gesteigert. Vor einigen Jahren lief er dann den Frankenwaldsteig in Etappen - sein längstes Teilstück war 65 Kilometer lang. "Da habe ich gedacht - wenn 65 Kilometer gehen, warum nicht 100?" Und es ging.
Beim "Saale-Orla-Hunderter" trat er bei seiner ersten 24-Stunden-Wanderung an. Seitdem läuft er das ganze Jahr über bei großen Veranstaltungen bundesweit mit. Ob 24 oder 48 Stunden, 100 oder 180 Kilometer: "Es geht immer noch extremer."