Sie ist 24 Jahre alt und ein Ausnahmetalent: Die Gemündaerin Nina Scheidmantel spielt seit ihrem sechsten Lebensjahr Klavier. Nun darf sie sogar in der New Yorker Carnegie Hall auftreten. Ein Besuch bei einer sehr authentischen Künstlerin.

„Das war unvorstellbar für mich“, erzählt Nina Scheidmantel, „wir dachten erst, das sei ein Scherz.“ Nach einem Benefiz-Konzert der 24-jährigen Pianistin aus dem Seßlacher Ortsteil Gemünda erkundigt sich ein Gast, ob sich Scheidmantel nicht vorstellen könne, in der Carnegie Hall in New York aufzutreten.
„Es kommen ja öfters einmal Leute und fragen, wann ich denn in der Met oder eben der Carnegie Hall auftrete“, erläutert sie. Die junge Pianistin ist skeptisch und mag kaum glauben, was Dr. Giorgio Cumbat mit ihr vorhat. Doch der Coburger meint es ernst: „Ich habe Nina Scheidmantel schon mehrfach gehört und dieses Konzert im Kloster Banz war phantastisch“, sagt er. Was Nina Scheidmantel zu dem Zeitpunkt nicht weiß: Bereits im Mai 2012 hatte Cumbat, der aus Rom stammt und dort studierte, ein Konzert für den Nürnberger Professor und Pianisten Hans-Dieter Bauer in der Carnegie Hall organisiert.

„Wenn man Beziehungen hat und sich auskennt ist das gar nicht so schwierig“, sagt Cumbat und lächelt. „Die Amerikaner sind froh über jedes junge Talent.“ Cumbat ist ein großer Fan von Nina Scheidmantel, weiß jedoch auch: „Ohne Sponsoren und Unterstützer läuft nichts.“ Deshalb ist der Manager auch sehr froh über das Engagement der Firmen Brose und Wöhner. „Ohne sie ist so ein großer Auftritt unmöglich zu bewältigen“, betont er. Und Nina Scheidmantel? Sie hat sich mittlerweile an den Gedanken gewöhnt, bald in dem berühmten Konzertsaal von Andrew Carnegie mit seiner besonderen Akustik auftreten zu dürfen und freut sich sehr darauf. Am 29. Oktober wird sie mit Werken von Maurice Ravel, Ludwig van Beethoven, Robert Schuhmann, Johannes Brahms und Sergej Prokoffiev debütieren. „Nina ist eine der ersten jungen deutschen Pianistinnen in dem Alter, die in der Carnegie Hall auftritt“, informiert Giorgio Cumbat.

Konzerte in China
Mit Konzerten in Millionenstädten hat Nina Scheidmantel soeben Erfahrungen gesammelt: Im Rahmen eines Festivals gab sie im August drei Solo-Konzerte in den chinesischen Metropolen Changsha, Wuhan und Peking. „Das sind richtig große Säle für 1.400 Zuschauer, mit breiten mit Samt ausgekleideten Sesseln und riesigen Kronleuchtern“ erläutert ihre Mutter Lang Scheidmantel. Sie stammt aus China und besucht jedes Konzert ihrer Tochter. In die erste Reihe setze sie sich aber nicht: „Nein, ich sitze irgendwo in der Mitte und fiebere mit meiner Tochter mit“, erklärt sie. Während des Konzerts in Peking sei Nina auch gefilmt worden: „Ein Fernsehteam von China Central Television hat mit vier Kameras Life-Aufnahmen vom Konzert gemacht.“ Auch eine Videoproduktion anlässlich des Jubiläums der Konzerthalle sei gedreht worden, die im Fernsehen gesendet werde. „Es war ein tolles, überwältigendes Gefühl vor so vielen Leuten in solchen Sälen zu spielen“, sagt Nina Scheidmantel.

Die junge Pianistin spielt alle ihre Konzerte auswendig. „Mich würden die Noten ablenken, ohne kann ich mich mehr auf die Musik einlassen“, erläutert sie. „Natürlich gibt es immer ein Risiko, dass man eine Gedächtnislücke hat.“ Mittlerweile habe sie davor jedoch keine Angst mehr: „Ich habe die Erfahrung und Routine, um das auszugleichen.“ Eine gewisse Aufregung vor einem Konzert sei allerdings immer vorhanden, gibt sie zu. „Es ist einfach etwas anderes, als wenn ich nur für mich spiele.“ Die Aufregung verfliege aber mit dem ersten Ton. Und was empfindet sie während des Auftritts? „Während des Spiels nehme ich den ganzen Raum wahr, bin aber zugleich auch mitten drin in der Musik“, erklärt die Künstlerin. Störfaktoren, wie erst kürzlich, als ein Träger ihres Kleides riss, versuche sie jedoch auszublenden. „Dazu ist große Konzentration nötig.“

Der großen Schwester nachgeeifert
Die 24-Jährige spielt Klavier seit sie sechs Jahre alt ist. „Ich habe Nina immer mitgenommen, wenn ihre Schwester Jana Klavierstunden genommen hat“, erzählt ihre Mutter. „Meine Mama erzählt immer, dass ich sie genervt hätte, doch endlich auch Unterricht zu bekommen“, sagt die junge Pianistin und lacht. Sie habe ihrer Schwester nacheifern wollen, die im Unterricht zwei Jahre voraus war: „Ich wollte auch so gut spielen wie sie.“ Ihre erste Klavierlehrerin ist Professorin Alla Schatz. Im Alter von zehn Jahren tritt Nina Scheidmantel zusammen mit ihrer zweieinhalb Jahre älteren Schwester das erste Mal öffentlich auf. Im Unterschied zu Jana Scheidmantel, die ihr Masterstudium in Betriebswirtschaftslehre in München beendet hat und nur noch gelegentlich Klavier spielt, kann sich Nina ein Leben ohne Musik nicht mehr vorstellen.

Bereits als Jungstudentin in der Frühförderklasse lernte sie die Hochschule für Musik in Würzburg kennen. Mittlerweile studiert sie dort Musik und nimmt Klavierunterricht bei Professorin Silke-Thora Matthies. Ihren Bachelor als Konzertpianistin und Musikpädagogin hat sie bereits, nun nimmt sie das Masterstudium in Angriff. „Ich wollte unbedingt Musik studieren“, sagt Nina Scheidmantel. Sie sei sogar bereit gewesen, dafür ihr Abitur zu opfern, nur um ja sofort loslegen zu können mit dem Studium. Doch sie hatte die Rechnung ohne ihre Eltern gemacht: Die waren strikt dagegen. Heute ist sie froh, ihr Abitur am Gymnasium Albertinum doch noch „gebaut“ zu haben. „Zu der Zeit habe ich auch Klarinette gespielt und hatte einen engagierten Lehrer“, informiert die 24-Jährige. Der Soloklarinettist vom Coburger Landestheater, Edgar Eichstädter, habe sie sehr unterstützt. Und so sei bei ihr der Gedanke gereift, Musik zu ihrem Beruf zu machen. „Ich weiß, dass nicht jeder davon leben kann“, fährt sie fort, „aber wenn man die Leidenschaft für die Musik hat und die Finanzen nicht in den Vordergrund stellt, wird man immer seinen Weg gehen.“

Giorgio Cumbat stimmt ihr zu: „Man braucht Talent und Glück. Dann findet man auch einen Weg, von der Musik zu leben.“ Die talentierte Pianistin habe die Chance, bekannt zu werden: „Man muss international präsent sein und jede Möglichkeit ergreifen.“

Täglich vier Stunden am Klavier
Nina Scheidmantel übt jeden Tag mindestens vier Stunden. „Wenn es geht, übe ich auch mehr“, erklärt sie. „Im Kopf geht das Üben sowieso mental weiter.“ Für sie sei jeder Wochentag gleich: „Es gibt keinen Sonntag.“ Nur nach einem Konzert nehme sie sich einen Tag frei. Nach einem Konzertmarathon, an dem sie fünf Tage hintereinander konzertiert habe, sei sie allerdings so geschafft gewesen, dass sie sich eine kleine Auszeit gegönnt habe. „Doch nach kurzer Zeit habe ich wieder das Bedürfnis zu spielen“, erklärt sie. Klavierspielen sei eine sehr anstrengende körperliche Arbeit. „Das ist wie Leistungssport“, vergleicht es ihre Mutter.

Hat die junge Pianistin neben ihrer Musik überhaupt noch Zeit für andere Beschäftigungen? „Ich finde es sehr wichtig, dass man Hobbies als Ausgleich hat“, sagt Nina Scheidmantel. Ein Treffen mit Freunden zu Spieleabenden, auf einen Wein in Coburg und Würzburg oder ein Saunabesuch sei immer drin. „Außerdem fahre ich Inline-Skates und tanze Ballett.“ Getanzt habe sie schon als Kind: „Das ist mein großes Faible.“ Deshalb nimmt sie in Würzburg am Main-Franken-Theater auch Ballettunterricht. „Vor dem Konzert in der Carnegie Hall sollte sie allerdings nicht mehr Inlinern“, sagt Lang Scheidmantel. Die Verletzungsgefahr sei zu groß. „Gerade vor großen Auftritten muss sie ein bisschen auf ihre Hände aufpassen.“
Ihre Tochter weiß das: „Durch das Tanzen habe ich gelernt, wie man sich abrollt“, erklärt sie. Ein Messerschnitt in die Fingerspitze wäre allerdings fatal. „Deshalb nehme ich mir auch immer Zeit, wenn ich mit Freunden koche“, sagt Nina Scheidmantel. Aber als Pianistin sei sie generell aufmerksamer ihren Händen gegenüber.
Dieses Jahr hat die 24-Jährige bereits zum zweiten Mal ein Stipendium bei der in Coburg ansässigen Deutschen Johann-Strauss-Gesellschaft gewonnen. Im Jahr 2012 erhielt sie vom Richard-Wagner-Verband ein Stipendium. Auch an Wettbewerben nimmt sie teil: „Da bin ich allerdings nicht so ein Fan.“ Viele Musiker dächten, sie müssten unbedingt einen großen Wettbewerb gewinnen, sagt sie. „Da herrscht hoher Druck“, findet die Künstlerin, „es geht dort weniger um die Musik, sondern einfach nur darum, wer der Beste ist.“ Für Nina Scheidmantel stünde allerdings immer die Musik im Mittelpunkt - und eben nicht das Gewinnen. Einen Vorteil hätten die Wettbewerbe jedoch: „Man sammelt Repertoires.“

Mittlerweile kann sie ein zweistündiges Konzertprogramm bewältigen. Und das alles aus dem Kopf? Wie lernt man das? „Man fängt mit leichten Stücken an“, erläutert die Künstlerin, „dann wird es immer komplexer.“ Das erschließe sich so nach und nach. „Wenn ich eine Partitur sehe, kann ich mir schon innerlich vorstellen, wie die Musik klingt und sich die Struktur aufbaut.“ Auch die dazugehörigen Bewegungen sehe sie vor ihrem inneren Auge.

Flügel selbst reguliert
Das Klavier, ein 20 Jahre altes Modell von Yamaha, an dem Nina Scheidmantel zu Hause übt, ist „ihr“ ganz persönlicher Flügel. Seit mehreren Jahren ist er in ihrem Besitz. „Er ist für mich etwas ganz Besonderes, weil ich selbst an seiner Mechanik mitgebaut habe“, sagt sie. Anlässlich eines Praktikums bei einem Klavierbauer lernte sie die Mechanik zu regulieren, hob die Gewichtung an und passte den Anschlag individuell auf ihre Person ein. Während sie sich gefreut habe, einmal auch ins Innere eines Klaviers blicken zu dürfen und dabei viel gelernt habe, habe sich auch der Klavierbauer gefreut, seine Instrumente auch einmal aus der Sicht einer Pianistin betrachten zu können, sagt sie.

Auf großen Konzerten spielt sie in der Regel nur auf Flügeln allerhöchster Qualität. „In China waren die Klaviere von Steinway & Sons“, erläutert ihre Mutter. „Da war einer besser als der andere.“ Auch in der Carnegie Hall wird die 24-Jährige auf einem Steinway spielen, weiß Sergio Cumbat. „Bei Flügeln gibt es schon gewaltige Unterschiede“, stellt Nina Scheidmantel fest, „als Künstler merkt man die Qualität und Präzision.“ Trotzdem müsse ein guter Pianist auch mit schwierigen Rahmenbedingungen umgehen können, erklärt ihre Mutter. Sergio Cumbat nickt amüsiert und erinnert an ein Weihnachtskonzert auf einem Schloss: Da habe Nina auf einem älteren Flügel gespielt, das nicht gestimmt worden sei. Während des Konzerts haben zwei Tasten gehangen. „Da hat sie gelacht, sich entschuldigt und einfach weitergespielt“, erzählt er. „Das war professionell.“ Damals habe er sich gedacht: „Wenn sie mit so einem Flügel spielen kann, kann sie mit allem spielen.“