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  REPORT
 Soldat dabei. Er klingelte an meiner Türe. Er konnte mir nicht in die Augen sehen. ,Mein Beileid’, stammelte er. Dann ging er zum Wa- gen zurück. Ich habe ihn weinen gesehen. Seine Kameraden waren aus einem anderen Holz. Sie haben mich dann geholt. Ich wurde dann misshandelt wie immer.“
Svitlana findet die Kraft nicht, der Tochter vom Tod ihres Vaters zu erzählen. Ihr Sohn Igor hört das Gespräch mit dem Kommandanten seines Vaters. Seine Mutter bittet ihn, der Schwester nichts zu erzählen. Polina erfährt erst Monate später, dass ihr Vater tot ist.
Die 36-Jährige weiß, dass sie die Misshand- lungen nicht mehr lange erträgt. „Zudem hat nichts geklappt unter der Besatzung. An allen Ecken standen Soldaten, aber Brot gab es kei- nes im Laden“, erklärt Svitlana. Sie verkauft ein Auto - deutlich unter seinem Wert. Mit dem Geld zahlt sie Schlepper aus dem Ort. Sie versprechen ihr, sie durch die russischen Check-Points bis nahe zur ukrainisch gehalte- nen Seite zu bringen. „Die letzten Kilometer mussten wir dann laufen. Zwei Koffer schlepp- te ich mit. Unser ganzes altes Leben war darin verstaut“, sagt die Mutter.
Es ist Sommer, als Svitlana mit ihren beiden Kindern am Grab von Volodymyr steht. Sie nehmen an seinem Soldatengrab Abschied. Neben dem Holzkreuz weht die aufgepflanzte ukrainischen Flagge. Es sind so viele Flaggen, die hier wehen. Jede Fahne im Wind bedeutet einen Gefallenen, meist eine Witwe wie Svit- lana und Halbweisen wie Igor und Polina.
Ein Kamerad ihres Mannes rät ihr, nach Kyjiw zu kommen. Monatelang ist ihr Zuhause ein Zimmer in einer Einrichtung für Menschen mit Autismus. „Wir hatten keine Betten, nur Matratzen. Aber wir waren froh, ein Zimmer, ein Dach über dem Kopf zu haben. Die Leite- rin der Einrichtung ist ebenfalls Witwe.“
„Die ersten Monate hat uns die Caritas die Miete für diese Wohnung bezahlt. Wir waren praktisch völlig mittellos“, sagt Svitlana. Mitt- lerweile hat die 36-Jährige in der Einrichtung für Autisten eine Festanstellung bekommen. „Nachdem wir alles verloren haben, tut es gut, stark zu sein, helfen zu können“, sagt die Wit-
we. Lebensunterhalt und Miete kann sie für sich und ihre Kinder bestreiten. Eigentlich ste- hen ihr eine Witwerente, eine Zahlung, zu. „Doch bis das Geld bewilligt wird, kann es noch dauern. Es gibt so viele Witwen“, sagt die Mutter.
Und alles Geld dieser Welt könnte den Verlust nicht auffangen. Svitlana muss den eigenen Schmerz ertragen und sich zuerst um ihre Kin- der kümmern. Vor allem Igor macht ihr Sor- gen. „Er zieht sich in sich zurück. Ich hatte ge- hofft, vielleicht findet er durch Judo oder ei- nen anderen Sport Kraft. Aber es ist wohl noch zu früh dafür“, sagt die Mutter leise.
Igor sitzt dann oft in sich gekehrt in seinem Sessel neben dem Fenster. "Er ist so still ge- worden. Meine Kinder müssen so tapfer sein", sagt die Mutter.
Die kleine Polina hat von den Grenztruppen ein Barett bekommen. Eines, wie es ihr Vater trug. „Für Polina ist es das Barett ihres Vaters. Sie ist so stolz darauf. Es gibt ihr Mut“, meint Svitlana.
Sie geht ins Wohnzimmer zu ihren Kindern und den Bildern ihre Mannes. Igor und Pauli- na sind still. Der Junge liest und Paulina spielt mit einem Einhorn-Kuscheltier. Nicht weit ent- fernt liegt das Barett auf einem Kissen. „Polina liebt Einhörner“, erklärt die 36-Jährige lächlend und spielt ein wenig mit ihrer Toch- ter. Die beiden reden dabei leise miteinander, flüstern fast.
Im Raum ist noch ein anderes Bild. Svitlana hat es mit Acryl auf Leinwand gebracht. „Es war ein Malprojekt mit anderen Witwen. Das Malen hat mir gut getan, aber auch, mit Frau- en zusammen zu sein, die die gleiche Trauer wie ich zu bewältigen haben. Letztendlich können nur sie verstehen, was der Verlust für mich bedeutet. Das können alle Therapiestun- den nicht ändern.“ Svitlana will verarbeiten, in dem sie anderen hilft. „Ich belege gerade ei- nen Kurs, um später mit Gesprächstherapien helfen zu können. Ehrenamtlich engagiere ich mich ebenfalls bei einer Hilfsorganisation.“
Hat Svitlana ein freies Wochenende, fährt sie oft nach Dnipro zum Grab von Volodymyr. „Es
ist schwer, hier in Kyjiw keinen Ort zum Trau- ern für ihn zu haben“, erklärt die 36-Jährige.
Sie träumt von einem Projekt. Sie will einen Baum für ihren Mann pflanzen mit 1000 wei- ßen Tulpen. Einen Ort hat sie schon gefunden: im Botanischen Garten von Kyjiw. „Ich habe die Erlaubnis bekommen und einen Platz zu- gewiesen bekommen. Sobald ich das Geld zu-
sammen habe, beginne ich mit dem Pflanzen. “ Der Baum und die Blumen, sagt sie, sollen auch anderen Witwen Mut machen. Sie sollen die Menschen daran erinnern, welche Opfer für diesen Krieg gebracht werden. Es sind schon so viele Trauende.
Wer Svitlana bei ihrem Projekt unterstützen will. Ihr PayPal: malych_a@ukr.net
 Svitlana mit einem selbstgemalten Bild. Es entstand in einem Malkurs für Kriegerwitwen. Die 36-Jährige will in Kyjiw einen Ort der Erinnerung schaffen:
für sich und andere, die geliebte Menschen
im Krieg verloren haben
 Autor: Über den Krieg im Donbas berichtet Till Mayer seit vielen Jahren. Sie Beginn des groß angelegten russischen Angriffskriegs reist der Bamberger Foto-Journalist regelmäßig in die Ukraine. Im Erich-Weiß-Verlag ist sein Buch "Ukraine - Europas Krieg erschienen". www.tillmayer.de., Insta: tillmayer.de, Facebook: Till Mayer
 Die Armee hat Svitlana eine Uniform geschickt, wie sie ihr Mann trug.
   Ausgabe 245 43
 










































































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