Page 21 - MOHR Stadtillu - Ausgabe 255
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ZU GAST BEI EINEM LEBENDEN GESCHICHTSBUCH
  PROMO
   Die Eheleute Lydia (geborene Steinerstauch) und Albert Dorn in ihrem Süßwarengeschäft im Unteren Bürglaß 6 Mitte der 1930er Jahre.
Es scheint, als würde Walter Dorn schon ewig leben, wenn er davon spricht, wie er vor 40 Jahren erst erfahren hat, dass sich vor dem "Resi", eine Druckerei mit Papierwarengroß- handel in der Judengasse 2 befand. Wohlge- merkt wurde das "Resi", das Residenzcafé be- reits 1912 eröffnet. Vor 40 Jahren konnte er immerhin auf bewegte 58 Lebensjahre zu- rückblicken. Bereits vor 98 Jahren kam er als Sohn des Lebküchlers Albert Dorn in deren Haus im Unteren Bürglaß 6 zur Welt. Dort be- fand sich auch die Lebküchlerei, in welcher von September bis Dezember Hochsaison herrschte. Als Walter dort aufwuchs, half noch ein Geselle mit, der aus Bad Berneck stammte - und ein Dienstmädchen gab es auch. Sie waren wie eine Familie und wohn- ten mit im Haus. Ansonsten bestritten seine Eltern ihr Einkommen noch mit einem Süß- warengroß- und Einzelhandel.
Einfallsreich vermarkteten sie Schokolade zu- sätzlich in einem gusseisernen und prächtig verzierten Schokoladen-Automaten der Fir- ma Stollwerck neben der Tür. Mit opulenten Knusperhäuschen, gefertigt aus echten Wa- ren, nahmen sie an Festumzügen teil. Die Zu- schauer brachen bei dieser Gelegenheit nur zu gerne ein Stück Lebkuchen heraus oder
Das Dorn´sche Knusperhäuschen vor dem Haus im Unteren Bürglaß zu Herzogs Einzug im Jahr 1905
aßen eine der köstlichen Pfeffernüsse, die sie vom Pferdegeschirr stibitzt hatten. Damals verstand man es noch, die Massen zu begeis- tern. Entsprechend besucht wurde der Fest- umzug zur Regierungsübernahme des aus England stammenden Herzog Carl Eduard von Sachsen-Coburg und Gotha mit seiner Volljährigkeit im Alter von 21 Jahren in 1905. Ebenso zahlreich erschienen die Zu- schauer am 7. September 1924 zum Festum- zug anlässlich des Abschlusses der jahrelan- gen Umbauarbeiten der Veste Coburg, ruhte doch der Bau im ersten Weltkrieg.
1907 konnten die Dorns sogar einen "Mars" anschaffen und unterhalten, mit dem sie über Land fuhren und bis Südthüringen aus- lieferten. Seinerzeit gab es nur 36 Autos im gesamten Herrschaftsgebiet. Davon zeugt das Kennzeichen des Mars aus dem Herzog- tum Coburg-Gotha "CG 36". Laut dem 98- jährigen meldete kurz danach der russische Großfürst Kyrill aus dem gleichnamigen Pa-
Walter Dorn mit dem Zinnabdruck eines Lebkuchenmodels
lais im Oberen Bürglaß 2 seinen Luxuswagen an und bekam das Kennzeichen "CG 37". Er weiß auch, dass der Herzog damals nicht das Kennzeichen mit der Nummer 1 innehatte. In dem Palais ist heute ein Kindergarten. Es befindet sich beim inzwischen abgebroche- nen Bürglaßtor und der noch bestehenden steinernen Brücke über die Allee.
Der Süßwarengroßhandel bezog seine Ware von damals namhaften Herstellern wie MAU- XION aus Saalfeld oder Hartwig & Vogel aus Sachsen mit seiner bekanntesten Schokola-
de, dem "Tell Apfel". Bei den selbst herge- stellten Lebkuchen wurde unterschieden zwi- schen braunen, weißen, stark gewürzten, Eli- sen, feinen und ordinären Nürnbergern. Für Pfeffernüsse wurden weihnachtliche Gewür- ze (allgemein Pfeffer genannt) hinzugege- ben und der Teig geformt wie eine Nuss.
Als in Coburg noch mit Gulden und Kreuzern bezahlt wurde, also vor 1871, heiratete der aus Nürnberg stammende Lebküchler Jo- hann Georg Dorn in die Heller'sche Lebküch- lerei im Unteren Bürglaß 6. Er war der letzte
  Verpackung für einen 1/8 Kilo-Karton der Coburger Schmätzle
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