Page 70 - MOHR Stadtillu - Ausgabe 255
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FOTOREPORTAGE AUS SYRIEN
Nach dem jahrelangen Krieg sind viele Städte und Dörfer zerstör. Ein Mitarbeiter von Handicap International sichert die Fundstelle eines Blindgängers ab. Blindgänger und Landminen sind eine Gefahr für die Rückkehrer. Das Schild warnt die Menschen der Nachbarschaft. Spezialisten holen später die Granate ab.
GEFÄHRLICHE SCHRITTE IN DER HEIMAT
DIE CAMPS FÜR BINNENVERTRIEBENE IN SYRIEN HABEN SICH GELEERT. DOCH DIE HEIMKEHR KANN TÖDLICH ENDEN. HUNDERTTAUSENDE LANDMINEN UND BLINDGÄNGER STELLEN EINE GROSSE GEFAHR DAR.
passiert das Unglück mit seinem Bein. Auch im Umfeld seines Dorfes wurde in dem jahre- langen Krieg gekämpft. Eine Landmine hatte er trotzdem nicht zwischen den Bäumen be- fürchtet. Ein dumpfer Knall. Die Explosion frisst sich in die Knochen. Ahmed Kasom kann sich noch einige Meter weiterschlep- pen. Dort finden ihn die anderen Arbeiter, bringen ihn ins Hospital. Der junge Mann überlebt. Aber als er nach der Operation er- wacht, ist sein Bein unterhalb des rechten Knies amputiert.
„Es war ein unglaublicher Schock für mich. Es hat lange gebraucht, bis ich mich wieder als ganzer Mensch gefühlt habe“, erklärt er. Die psycho-soziale Unterstützung durch Handi- cap International habe ihm viel geholfen: „Nicht aufgeben, das war das große Ziel.“ Im Orthopädie-Zentrum des Aqrabat Kranken- hauses wird ihm eine Prothese angefertigt. Unterstützt wird die Einrichtung ebenfalls von Handicap International. Jetzt macht er
endlich zuhause die ersten Schritte. Zuerst wackelig, dann geht es hinaus an die Sonne. Er holt immer sicherer zu großen Schritten über den staubigen Boden aus.
„Passt“, sagt Ahmed Kasom. Über sein Ge- sicht zieht ein Lächeln. Hinter ihm taucht sein Jüngster auf. Keine vier Jahre ist er alt. Er trägt zwei Krücken aus Aluminium zu seinem Vater, die größer sind als das Kind. Die ganze Familie lacht. „Die brauche ich jetzt nicht mehr allzu oft“, meint Ahmed Kasom und streichelt seinem Sohn über den Kopf. Mit der Prothese hofft er, wieder voll arbeiten zu können. Dann geht es wieder zur Olivenern- te. Was der 29-Jährige nicht verhindern wird können, Angst wird dabei oft sein Begleiter sein.
Ein Gefühl, das für Millionen von Syrerinnen und Syrern über Jahre ein ständiger Beglei- ter war. Der "Arabische Frühling", die Hoff- nung auf eine Demokratisierung Syriens, en-
IDLIB Die Turnschuhe glänzen weiß. Selbst die Sohlen strahlen vor Sauberkeit. Die Strei- fen an den Seiten der Sneaker sollen an eine große Sportmarke erinnern. Doch die Schuhe sind keine echte Markenware. Ein Exemplar ist am Fuß von Ahmed Kasom, der sich vor- beugt und eine Schleife in die Schnürsenkel bindet. Der andere steckt auf einer Prothese. Ein Stahlrohr mit Fuß. Mit ihr wird der 29- Jährige wieder ohne Krücken gehen können. Ein Prothesentechniker der Hilfsorganisation Handicap International passt die Prothese vorsichtig an. Es waren Monate des Wartens. Behandlungen und Bandagierung des am- putierten Beins, Physiotherapie, Gleichge- wichtsübungen, Gesprächstherapien, Anpas- sungen der Prothese. Die letzte ist nun er- folgt.
Ahmed Kasom steht auf. Er ist ein großer, schlaksiger Mann. Jetzt also die ersten Schrit- te im Dämmerlicht des Zuhauses. Das Zuhau- se besteht aus vier Wänden, über die eine Plane gespannt ist. Große Sitzkissen reihen sich auf dem grauen Betonboden entlang der Wand. Ein Gaskocher steht auf einer Kiste im Eck, ein Vorhang teilt den Raum hälftig. Dahinter befindet sich der Schlafbereich.
Eine sechsköpfige Familie wohnt so auf kei- nen 25 Quadratmetern. Ahmed Kasom lebt in einem kleinen Dorf im Bezirk Idlib, ver- dingt sich als Tagelöhner. Viele kleine Flücht- lingscamps ducken sich hier zwischen die Olivenhaine. Kasom packt über all an, wo nach seiner Arbeit gefragt wird. „Am besten läuft es zur Olivenernte“, erklärt er. Im Januar
Ahmed Kasom übt mit seiner neuen Prothese, sie muss noch angepasst werden. Die Prothese erhält er kostenlos von der Hilfsorganisation Handicap International.
Oft werden Kinder und Jugendliche von Explosionen von Landminen und Blindgängern schwer verwundet und versehrt.
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- STADTILLU FÜR COBURG, LICHTENFELS & KRONACH

