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FOTOREPORTAGE VON TILL MAYER
REPORT
ersten Linie bringt. Oder Granaten auf die Angrei- fer abwirft.
„Keine Chance, über die Straße die Kameraden zu versorgen. Unsere Transporter werden dann von russischen Kamikaze-Drohnen gejagt“, er- klärt er. Dann Stille, denn auch jetzt könnte jeden Augenblick eine Drohne einschlagen. Daran er- innern nicht nur die Autowracks. Ab und an glei- ßen im Licht der untergehenden Sonne silberne Schnüre in Grünflächen, am Straßenrand oder in Bäumen. Die Glasfaserkabel von Drohnen, die bereits niedergegangen sind. Mittlerweile tau- chen in den sozialen Netzwerken schon Fotos auf, die zeigen, wie Vögel die Kabel zum Netzbau ver- wenden. Krieg nimmt oft bizarre Formen an.
Zurück zu Babenko, dem Chef des Drohnen- Startups in Kyjiw. „Leider muss man es so sagen, bei kabelgesteuerten Drohnen sind uns die Rus- sen noch einen Schritt voraus. Wir arbeiten dar- an, die Reichweite zu vergrößern. Aber das be- deutet mehr Kabel, daraus folgt mehr Gewicht. Das erfordert stärkere Rotoren, eine größere Drohne, leistungsfähigere Batterien, etc.“, erklärt er.
Die Entwickler setzten daher vermehrt auf Künst- liche Intelligenz. Sie soll in Zukunft Drohnen effi- zienter und weniger Störanfällig machen. „KI kann zum Beispiel die Steuerung übernehmen, wenn Störsender den Kontakt zum Piloten abbre- chen. Oder für mehr Zielgenauigkeit auf den letz- ten Metern sorgen“, informiert der 26-Jährige. „KI-Drohnen in Verbindung zum Beispiel mit Quantencomputing, dass wird viel verändern. Die Entwicklung nimmt immer mehr an Fahrt auf“, berichtet der Startup-Manager.
Innovation ist der Schlüssel. In der Ukraine ist längst eine eigene und erfolgreiche Rüstungsin- dustrie entstanden. Sie ist überlebenswichtig,
um dem russischen Aggressor zu widerstehen. Babenko nutzt zur Herstellung verschiedener Tei- le der Drohnen den 3D-Drucker. Generell gilt es, möglichst autark bei der Produktion zu sein. So- weit wie möglich Teile aus ukrainischer Produkti- on zu verwenden. „Diese Drohne besteht fast aus- schließlich aus ukrainischen Teilen“, erklärt der Jungunternehmer stolz und hebt eine Kamika- ze-Drohne hoch. Die Nachfrage ist groß: 66 Pro- zent der erfolgreichen ukrainischen Angriffe auf russische Militärtechnik entfielen zu Beginn des Jahres auf Drohneneinsätze, macht der ukraini- sche Oberbefehlshabers Oleksandr Syrskyj die Bedeutung der Waffe klar. Nach eigenen Anga- ben hat der ukrainische Staat 96 Prozent seiner Drohnen bei heimischen Produzenten gekauft, Unternehmen wie das von Babenko.
Im Angebot ist ein umfangreiches Spektrum, das primitive Einwegmodellen über Aufklärungs- bis hin zu Kamikazedrohnen mit Hunderten Kilome- tern Reichweite abdeckt. Dazu kommen Unter- wasserdrohnen und die fortschreitende Entwick- lung von Robotersystemen. Die Ukrainische Re- gierung wirbt um ausländische Investoren, die vor Ort produzieren lassen. Rheinmetall baut eine Munitionsfabrik. Quantum System, eine Un- ternehmen aus Bayern, ist in der Ukraine in die Drohnenpoduktion eingestiegen. Der französi- sche Automobilhersteller Renault könnte bald nachziehen.
Das aktuelle militärische Unterstützungspaket Deutschlands für die Ukraine hat einen Wert von rund fünf Milliarden Euro und kommt mit einem Novum: Mit der Finanzierung von sogenannten Deep Strike Drohnen „Made in Ukraine“ wird die Produktion einer Waffengattung gefördert, de- ren Reichweite tief in das russische Territorium dringt. Weiter investiert Deutschland erstmals di- rekt in die Rüstungsproduktion der Ukraine. Eine Vereinbarung wurde Ende Mai zwischen den
deutschen und ukrainischen Verteidigungsmi- nistern Boris Pistorius und Rustem Umerov ge- schlossen. Im Gespräch könnten die Deep Strike Drohnen des Typ BARS oder AN-196 Liutyi sein. In einem Interview mit BBC Ukraine nannte der Minister für strategische Industrien, Herman Smetanin, eine Reichweite von 700 bis 800 Kilo- metern für das als „Raketendrohne“ bezeichnete BARS-Waffensystem.
Derweil fährt Russland seine „Geran-2“-Produkti- on hoch. Die Langstecken-Drohne basiert auf der iranischen Shahed-Drohne. Jedoch führt sie eine größere Sprengladung mit sich. Mittlerweile wer- den Gerans mit Jet-Antrieb produziert. Der "Vor- teil" zum bisherigen Propeller-Antrieb: Sie sind dann zu schnell, fliegen zu hoch, um von der uk- rainischen Flugabwehr „kostengünstig“ mit dem Maschinengewehr abgeschossen zu werden. Die Gerans haben ihr Ziel fest einprogrammiert. Je- doch sind modifizierte Varianten mit einem Lich- terkennungssystem ausgestattet. Werden die Drohnen bei den nächtlichen Angriffen vom Lichtkegel der Schweinwerfer der Flugabwehr er- fasst, folgt ein Ausweichmanöver. „Fast jede Nacht müssen wir derzeit Angriffe mit Shaheds und Rakten auf Kyjiw und viele andere ukraini- sche Städte abwehren“, erinnert Babenko an die Angriffswelle aus der Luft, mit der Russland seit Wochen verstärkt die Menschen der Ukraine ter- rorisiert. In Kyjiw sterben bei vielen der Angriffe Menschen, Gebäude brennen.
Der jüngste ukrainische Coup, bei dem Hunderte von Kamikaze-Drohnen zahlreiche Bomber tief im russischen Hinterland zerstörten und schwerst beschädigten, ist ein Mutmacher für die geplagte Bevölkerung. Die Drohnen wurden mit LKWs nahe ihres Zielort geschmuggelt. Jetzt schickt Putin noch mehr Raketen und Drohnen auf zivile Ziele in der Ukraine. Es sind laute Näch- te, die Babenko dezeit in der Heimatstadt erlebt.
Für Babenko zeigt der Erfolg der Drohnen in Russland erneut, wie wichtig die Waffe ist, die er entwickeln und produzieren lässt. Beobachter rechnen, dass die Ukraine 2025 bis zu 1,5 Millio- nen Kamikaze-Drohnen für die Front produzieren wird. Der Preis für eine ordentliche Funk-Drohne liegt bei 500 Euro das Stück, eine Glasfaser-Droh- ne kostet das Doppelte.
„Das Ausmaß der Zerstörung, die sie anrichten können, ist um ein Zigfaches höher als ihre Her- stellungskosten. Eine Kamikaze-Drohne kann ei- nen Grad-Raktenwerfer zerstören, der unsere Häuser in Asche legt. Oder einen Bomber, der auf unsere Kinder Gleitbomben wirft. Baue ich gute Drohnen, schütze ich das Leben unserer Solda- ten. Viele meiner Freunde kämpfen. Das bedeu- tet Verantwortung für mich. Der Krieg hat mir eine Aufgabe gegeben.“ Was russische Besat- zung bedeutet, habe er 2022 in Irpin gesehen. Daran erinnert er zur Verabschiedung.
Der Autor:
Den Krieg im Osten der Ukraine dokumentiert der (Foto-)Journalist Till Mayer (www.tillmayer.de) schon seit 2017. Seit dem Beginn der Full-Scale-Invasion im Februar 2022 berichtet er regelmäßig für unsere Redaktion über die Folgen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine. Für seine Fotos und Reportagen wurde er mehrfach ausgezeichnet. Im ibidem-Verlag ist jüngst sein Reportagenband "Eu- ropas Front - Krieg in der Ukraine" erschienen.
Die modifizierten Shaheds/Gerans sind eine Herausforderung für die Flugabwehr.
Bergungsarbeiten nach einem Drohnen- und Raketen-Angriff auf Kyjiw im April.
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